Quartiersleben in Straßburg

La Krutenau – ein Quartier im Wandel

von Paula Bartholomeyczik, Sarah Geiger, Marie Grützmacher und Magalie Rau
Das Quartier La Krutenau liegt angrenzend an die Innenstadt im Herzen Straßburgs und besteht aus vielen kleinen und verwinkelten Straßen und Gassen. Das verhältnismäßig kleine Viertel lädt zum Flanieren und Verweilen in einem der zahlreichen Cafés, Restaurants und Bars ein. Bereits eine kurze Online-Recherche bei offiziellen Seiten der Stadt Straßburg oder Blogeinträgen, wie beispielsweise auf der Website Café Babel einer Austauschstudentin, zeigt das Bild eines charmanten, lebhaften und historischen Stadtviertels, das besonders für sein aktives Nachtleben bekannt ist [1, 2]. Doch ist das tatsächlich alles, was die Krutenau zu bieten hat? Der Alltag im Quartier besteht aus mehr als nur Bars und Restaurants, die ab dem Nachmittag für Leben auf den Straßen sorgen. In der Krutenau ist eigentlich immer etwas los. Das einseitige Image eines Partyviertels wird der Vielfalt und den zahlreichen Möglichkeiten im Quartier nicht wirklich gerecht. Bereits seit dem Mittelalter existiert das Viertel schon und hat seitdem immer wieder bedeutende Veränderungen durchlaufen. Wie stellt sich dieser Wandel der Krutenau dar und wie wird er von den Bewohner*innen wahrgenommen?

Die Krutenau hat ca. 11.000 Einwohner*innen und eine der höchsten Bevölkerungsdichten in Straßburg. Das Viertel liegt südöstlich der Innenstadt am gegenüberliegenden Ufer der Ill. Die südwestliche Grenze bildet das Krankenhaus Nouvel Hôpital Civil | Hôpitaux Universitaires de Strasbourg. Im Norden zieht die Grenze der Boulevard de la Victoire und im Osten endet die Krutenau dort, wo die Universität Straßburg und das Viertel Esplanade beginnen. Die Uferpromenade Quai Fustel-de-Coulanges bildet die Grenze Richtung Süden und markiert den Übergang zum Viertel Neudorf.

Zu den bekanntesten Plätzen gehören die folgenden: Place d’Austerlitz, Place de Zurich und Place des Orphelins. In der Krutenau gibt es kaum Straßen, die als Hauptverkehrsadern dienen, da diese meist eher klein, eng und verwinkelt sind. Einzig die Rue de Zurich und die Verlängerung dieser mit der Rue des Orphelins fungiert als Verkehrsachse für Autos. Andere Hauptstraßen, in denen es viele Geschäfte, Cafés und Restaurants gibt, sind die Rue de la Krutenau, Rue Sainte-Madeleine und der Quai des Bateliers am Ufer der Ill. Im Gegensatz zu den anderen Straßen ist das Besondere an der Rue d’Austerlitz, dass sie eine Einkaufsstraße ist, welche in Richtung der Innenstadt führt. Diese wird viel von Tourist*innen als Zugang zur Innenstadt verwendet. Allgemein wird die Krutenau eher als Durchgang zur bekannten Innenstadt genutzt. Insgesamt finden sich im Viertel außer am Quai des Bateliers nur wenig Tourist*innen. Allerdings kann sich dies durch tourismusfördernde Umgestaltungsprojekte, wie beispielsweise die Aufwertung der Uferpromenade vor einigen Jahren, bald ändern.

Von der Vergangenheit bis heute

Die historischen Straßen zeugen von der langen Vergangenheit der Krutenau. Das Viertel stellt die mittelalterliche Erweiterung Straßburgs in südöstlicher Richtung dar. Diese besteht aus der ursprünglichen Krutenau, die Ende des 14. Jahrhunderts bis Mitte des 15. Jahrhunderts befestigt wurde und dem Viertel Sainte-Madeleine, einem Straßburger Vorort, der im Laufe des 13. Jahrhunderts bis Mitte des 14. Jahrhunderts der Stadt angegliedert wurde. Sainte-Madeleine ähnelte mit den vielen kleinen und verwinkelten Gassen schon damals der Innenstadt, während die ursprüngliche Krutenau aus landwirtschaftlichen Flächen, Kanälen und Gärten bestand. Das Wort Krutenau leitet sich daher laut einigen Aussagen der Bewohner*innen von den Wörtern Kraut und Aue ab. Dies ist zwar nicht die einzige Erklärung, jedoch die am weitesten verbreitete. Viele der heutigen Straßennamen weisen immer noch auf die Geschichte des Viertels hin. Sie beschreiben die ehemaligen Funktionen der Orte, wie beispielsweise die Rue de la Tour des Pêcheurs, was übersetzt Fischerturm bedeutet, oder Rue des Poules, die Straße der Hühner.
Straßenschilder erinnern an frühere Zeiten
Lange Zeit wurde das Viertel von Flussschifffahrt, Gemüseanbau und Fischerei geprägt, was sich im 19. Jahrhundert jedoch bedeutend änderte. Nach und nach entstand immer mehr handwerkliches und industrielles Gewerbe. 1872 wurde einer der großen Kanäle zugeschüttet, wodurch die ursprüngliche Krutenau mit dem Viertel Sainte-Madeleine vereint wurde. Allerdings verlor das Viertel dadurch unter anderem den vom Wasser geprägten Charakter und die Gärten wurden in Wohnparzellen aufgeteilt. Die Krutenau verwandelte sich zunehmend in ein von Arbeiter*innen geprägtes Viertel. Ab den 1970er Jahren wanderte die Industrie jedoch größtenteils ab, was ein umfangreiches Stadterneuerungsprogramm zur Folge hatte.
Historische Transformation des Quartiers

Die Krutenau - lebendig, schön, bobo?

Quartiere gelten als Mittelpunkt alltäglicher Lebenswelten und individueller sozialer Sphären [3]. Sie werden durch externe und interne Handlungen sozial konstruiert. Dies geschieht auf unterschiedlichen Ebenen: Zunächst bei der Planung des Raums, durch alltägliche Praktiken und schließlich auch im Diskurs über den Raum [4]. Wer kann ein Quartier also besser beschreiben, als die Menschen, die sich dort aufhalten und es tagtäglich produzieren und reproduzieren?

Zu Beginn steht die Frage, welche Gedanken und Verknüpfungen den Bewohner:innen spontan in den Sinn kommen, wenn sie an die Krutenau denken.
Bienvenue à la Krutenau!
In der Quartiersforschung sind Wahrnehmungen, Erfahrungen und Gefühle, die mit einem Ort verbunden werden, von zentraler Bedeutung [5]. Sowohl individuelle, als auch kollektive Zuschreibungen tragen zur Identitätsbildung eines Quartiers bei und manifestieren sich im alltäglichen Handeln der Menschen. In der Krutenau gibt es nicht nur kollektive Wahrnehmungen, sondern es sind auch gegensätzliche Meinungen vertreten, die auf eine Heterogenität des Quartiers schließen lassen. Einige beschreiben die Krutenau als ein lebhaftes, modernes Viertel, das für seine Gastronomie, sein pulsierendes Nachtleben, seine florierende Kunstszene und zahlreiche Veranstaltungen bekannt ist. Gleichzeitig sehen andere es als ein ruhiges, historisches Quartier mit einem familiären Charakter, in dem Menschen verschiedener Generationen, Herkunftsländer und kultureller Hintergründe zusammenleben. Dem Aspekt des beliebten Quartiers stehen wiederum Prozesse der Verdrängung entgegen oder werden gerade dadurch bedingt. Der Begriff bobo, zusammengesetzt aus den französischen Wörtern bourgeois und bohème, umschreibt die Diskrepanz zwischen reich und unkonventionell und wird in der Literatur häufig im Zuge von Gentrifizierung genannt [6]. Gentrifizierung beschreibt einen global auftretenden Stadtentwicklungsprozess, bei dem die bauliche, soziale und funktionale Aufwertung eines Viertels dazu führt, dass eine neue Bevölkerung hinzuzieht, die Mietpreise steigen und ursprüngliche Bewohner*innen verdrängt werden [7]. Ein wesentliches Merkmal der Gentrifizierung ist die Verdrängung von Bevölkerungsgruppen im Zusammenhang mit Investitionen [8]. Neben dem Quartiersalltag lassen sich in der Krutenau auch derartige Veränderungsprozesse und mögliche Konflikte beobachten.
In diesen Bildern spiegelt sich die beschriebene Vielfalt und Heterogenität der Krutenau

Gemeinschaft im Quartiersalltag

Aus Gesprächen mit Bewohner*innen sowie verschiedenen Vereinen und Initiativen der Krutenau geht hervor, dass der Gemeinschaft und Nachbarschaft innerhalb des Quartiers ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird. Dies äußert sich durch verschiedene Interaktionen im Alltag. Im Viertel gibt es zahlreiche Orte, an denen die Menschen zusammenkommen und sich austauschen. Sei es der Wochenmarkt auf dem Place de Zurich, der Place d’Austerlitz mit all seinen Cafés und Bars oder der Place des Orphelins, an dem sich nicht nur viele Familien treffen, sondern auch jeden Abend die selbst formierte Tischtennis-Gruppe namens Place des Orphelins spielt. Fredj Cohen, Gründer der Gruppe, erzählt, dass sich mittlerweile fast 60 Spieler*innen über Facebook vernetzt haben und einige von ihnen regelmäßig an den öffentlichen Tischtennisplatten der Stadt zusammenkommen. Jede*r ist hier willkommen, sei es zum Tischtennisspielen oder nur zum Beisammensein und Reden. So auch Anny Avidou, die bereits seit 30 Jahren in der Krutenau wohnt und den Wandel selbst miterlebt hat. Sie berichtet vom einstigen Arbeiterviertel, das heute einen bürgerlichen und jüngeren Charakter angenommen habe. Als Beispiel führt sie an, dass von der Stadt verschiedene Maßnahmen getroffen wurden, um autofreie und kinderfreundliche Bereiche innerhalb des Viertels zu schaffen. Auf dem Place des Orphelins gibt es neben den beiden Tischtennisplatten auch einen großen Spielplatz. Um diesen herum befinden sich Restaurants, Bäckereien und die Maison des Associations. Das Kompetenz- und Dienstleistungszentrum verschiedener Vereine, die das Gemeinschaftsleben in Straßburg fördern, stellt Räumlichkeiten zur Verfügung.

Zu diesen Vereinen zählt auch CARDEK (Centre socioculturel de la Krutenau Strasbourg), das sich 1972 aus einer Bürger*inneninitiative herausgebildet hat und sich seither für die Interessen der Bewohner*innen des Viertels einsetzt [9]. Auslöser der Gründung war die damalige Stadtplanungspolitik, im Zuge derer viele Gebäude der Krutenau abgerissen und saniert wurden. CARDEK wurde gegründet, um einer Verdrängung der Bevölkerung entgegenzuwirken. Noch heute stehen soziale Themen im Fokus der Arbeit des Vereins, welcher in enger Kooperation mit der Stadtpolitik zusammenarbeitet. Dies spiegelt sich sowohl in der aktiven Förderung von diversen Aktivitäten und Projekten für Kinder, Jugendliche, ältere Menschen und Familien als auch von Diskussionsforen für das erwachsene Publikum wider. Der Geschäftsführer des CARDEKs, Manuel Santiago, betont die Notwendigkeit, in den kommenden Jahren noch mehr gemeinschaftliche Räume zu schaffen, die von allen Bewohner*innen genutzt werden können. Als Beispiel führt er an, dass es bisher keinen öffentlichen Sportplatz im Stadtviertel gibt.

Der Lokalverband AHBAK (Association des Habitants Bourse Austerlitz Krutenau) begleitet die Aktivitäten des CARDEK und hat unter anderem das Kompost- und Gemeinschaftsgartenprojekt am Place Sainte-Madeleine ins Leben gerufen [10]. Christiane Gortz, die Mitglied der AHBAK ist, berichtet, dass sich hier eine kleinere Gruppe regelmäßig zum Gärtnern trifft. Darüber hinaus wird der Platz von verschiedenen Menschen jeden Alters genutzt. Die kleine grüne Oase befindet sich zwischen einer Kirche, mehreren Schulen, einem Kindergarten und dem Quai des Bateliers, der belebten und von Geschäften geprägten Promenade an der Ill. Die Bänke am Place Sainte-Madeleine laden zum Verweilen und Entspannen ein. Vor nicht allzu langer Zeit hat die Stadt die Neugestaltung des Platzes in Auftrag gegeben. Derzeit sind dort noch einige Bauprojekte im Gange. Der Landschaftsarchitekt des Projekts berichtet, dass die Flächenentsiegelung, das Setzen neuer Bäume und die Einführung von Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu Teilen bereits abgeschlossen sind. Darüber hinaus wurden diverse Kooperationsprojekte mit den umliegenden Schulen, der Kirchengemeinde, AHBAK und CARDEK initiiert. Bisher sind nicht nur neue Spielplätze, sondern auch Schulgärten entstanden.
Transformation zu einem grüneren Viertel
Weitere Angebote für Jung und Alt bietet das kreative und kulturelle Zentrum Les Bateliers centre créatif et culturel in Form von Workshops und Kursen, in denen gemalt, geschneidert, mit Holz oder Keramik gearbeitet oder auch Theater gespielt werden kann [11]. Les Bateliers hat ein vielfältiges Programm, welches sich an Kinder ab vier Jahren, aber auch an Jugendliche und Erwachsene richtet. Das Angebot wird von zahlreichen Familien in Anspruch genommen und ist darauf ausgerichtet, dass es für jede Person zugänglich ist, da die Kosten entsprechend des individuellen Einkommens festgelegt werden. Daher können beispielsweise auch Kinder aus weniger wohlhabenden Familien die Kurse besuchen. Ansässige Künstler*innen, wie Valérie Etterlen, kooperieren mit Les Bateliers.

Valérie Etterlen arbeitet in der assoziativen Boutique Le Générateur, welche lokale Kunst und Kunsthandwerk fördert und den Künstler*innen einen Ausstellungs- und Verkaufsraum zur Verfügung stellt [12]. Es handelt sich um ein kollaboratives und partizipatives Projekt, das von den ausstellenden Kunstschaffenden geleitet wird. Gegründet wurde der Verein 2016 und umfasst mittlerweile dreißig Künstler*innen, die ihre Keramik, Illustrationen, Textilien, Stickereien oder Schmuck im Geschäft in der Rue Sainte-Madeleine verkaufen. Dadurch, dass die Designer*innen selbst im Laden arbeiten, soll ein Dialog zwischen Produzent*innen und Konsument*innen geschaffen werden und den Kund*innen die Möglichkeit geboten werden, lokal und verantwortungsbewusst zu konsumieren. Valérie beschreibt die Krutenau als ein kreatives Quartier mit einer starken Identität und engagierten Personen. Über Le Générateur konnte sie sich mit mehreren Künstler*innen vernetzen und pflegt zu vielen ein freundschaftliches Verhältnis.
Quartiersgemeinschaft: Solidarität, Nachhaltigkeit und Kunst im Fokus

Die Krutenau – nur ein Ausgehviertel?

Eine vielfältige Gastronomieszene wie auch ein aktives Nachtleben gelten als Indikatoren für die Urbanität und Attraktivität einer Stadt und ziehen vor allem junge Menschen an. Sie ermöglichen die Bildung urbaner Identitäten und Ortswahrnehmungen sowie die Beschleunigung städtischer Transformationsprozesse [13]. So eröffnen sie nicht nur neue Räume für die städtische Gemeinschaft, sondern können auch zu kontroversen Aufwertungsprozessen wie der Gentrifizierung beitragen. Aus diesem Grund ist die sorgfältige Analyse und Verhandlung von Nutzungskonflikten von entscheidender Bedeutung. Akteure der urbanen Nachtökonomie sehen zudem einen steigenden Bedarf der Vernetzung, um sich als Ansprechpartner*innen gegenüber anderen Akteuren zu positionieren und mögliche Konflikte zu regulieren. Im Rahmen des Quartiersmarketings werden beispielsweise immer häufiger Formate wie Lange Nächte angeboten, um durch Aufklärung und Akzeptanzsteigerung der weniger nachtaktiven Bevölkerung die Etablierung spezifischer Räume für das Nachtleben in der Stadtgesellschaft zu bewirken [13]. Bei Langen Nächten schließen sich in der Regel mehrere Akteure zusammen, um außerhalb der regulären Geschäftsöffnungszeiten, oft bereits tagsüber, zusätzliche Programmpunkte für die Menschen anzubieten.

In mehreren Gesprächen wurde die Rolle des Nachtlebens und die gastronomische Vielfalt in der Krutenau deutlich hervorgehoben. Die Mehrheit schätzt das Viertel aufgrund seiner lebendigen Atmosphäre, der Fülle an Bars, Restaurants und Cafés sowie der regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen. Im gastronomischen Angebot spiegeln sich kulinarische Einflüsse aus verschiedenen Ländern wider und bieten ein facettenreiches Speiseangebot. Bei einem Spaziergang durch das Quartier fällt auf, dass die meisten Lokale, unabhängig vom Wochentag, sehr gut besucht sind. Gemütliche Cafés, abwechslungsreiche Restaurants und lebhafte Bars laden dazu ein, sich niederzulassen und die Krutenau auf sich wirken zu lassen. Kleine, ursprüngliche Bars wie La Cahute bieten einen Ort, an dem die Menschen in Kontakt kommen und sich über ihren Alltag austauschen. Das Publikum der Bar ist durchmischt von 18- bis 84-Jährigen, die überwiegend in der Krutenau wohnen. Einmal im Monat veranstaltet die Inhaberin Agnes Turquial einen Bingo-Abend, an dem gemeinsam gespielt, gequatscht und getrunken wird. Dieses Angebot ist kostenlos und es gibt sogar Preise zu gewinnen. Wer zuerst Bingo ruft, darf sich laut Agnes über eine Flasche Bier freuen.

In den letzten Jahrzehnten haben sich viele neue Gastronomien etabliert, was mit dem Wandel des Quartiers zusammenhängt. Auch wenn das Image der Krutenau überwiegend als positiv beschrieben wird, sollten auch Konflikte zwischen den Bewohner*innen und dem Nachtleben nicht unerwähnt bleiben. Vor allem Lokale mit langen Öffnungszeiten und Außenbereichen sowie Clubs führen zu Lärmbelästigungen der Bewohner*innen.

Vor etwa drei Jahren hat William Beyou das Collectif Abreuvoir gegründet, um einen Dialog zwischen den Einzelhändler*innen, Anwohner*innen und Passant*innen in der Rue de l’Abreuvoir herzustellen und das dortige Quartiersleben für alle attraktiver zu gestalten [14]. Im Vordergrund steht die Transformation der Straße, welche begrünt, verkehrsberuhigt und durch regelmäßig stattfindende Veranstaltungen belebt werden soll. Zugleich sollen auch Lösungen für die Nutzungskonflikte der Lokale und Anwohner*innen entwickelt werden. Aktuell wird das Straßenbild der Rue de l’Abreuvoir von einer Vielzahl an Autos und Parkplätzen geprägt. Obwohl die Straße sehr schmal ist, läuft der Verkehr in beide Richtungen. Die Bars und Restaurants in der Rue de l’Abreuvoir haben größtenteils keine Außenbereiche zum Sitzen, da die mögliche Erweiterungsfläche momentan noch beidseitig durch Parkplätze beansprucht wird. Im Jahr 2023 organisierte das Kollektiv bereits verschiedene Veranstaltungen, darunter ein Flohmarkt, die Fête de la Musique und ein Straßenfest. Für diese Anlässe wurde die gesamte Straße gesperrt und zahlreiche Menschen nutzten die dadurch entstandene freie Fläche zum Flanieren, Musikhören und Tanzen. Der autofreie Tag wurde zudem von der Gastronomie genutzt, um probeweise weitere Sitzplätze auf der Straße aufzubauen. Die Veranstaltungen des Kollektivs richten sich an alle Altersgruppen und sollen die Gemeinschaft innerhalb der Straße und des Quartiers intensivieren sowie einen Ort des Zusammenkommens schaffen.
“Zwischen Begeisterung und Kritik: Das pulsierende Leben“

Die Krutenau im Umbruch

Natürlich ist auch die Krutenau nicht frei von Konflikten und unterschiedlichen Ansichten der Bewohner*innen. Besonders die Verkehrsprobleme bewegen die Menschen des Quartiers. Erst 2019 wurde der Quai des Bateliers umgestaltet und ist so von einer vielbefahrenen Durchgangsstraße zu einer Fußgängerzone geworden. Nur noch morgens dürfen Autos die Straße durchqueren. Zu dieser Uhrzeit teilen sich die Passant*innen, Radfahrer*innen, Autos und Lieferwagen, welche die Restaurants und Cafés beliefern, den Weg entlang der Promenade der Ill. Dies wirkt zumeist etwas chaotisch und überfüllt. Die neue Uferpromenade ist dennoch zu einem Ort geworden, an dem die Leute bummeln gehen und sich aufhalten. Mit dieser Aufwertung sollen auch Tourist*innen von der Innenstadt in die Krutenau gelockt werden. Ein Landschaftsarchitekt berichtet, dass es derzeit noch weitere Projekte gibt. Beispielsweise werden immer mehr Straßen in verkehrsberuhigte Zonen umgewandelt und begrünt, damit diese einerseits ansprechender wirken und andererseits zur Klimaanpassung beitragen. Zudem werden Straßen so gepflastert, dass Regenwasser gut versickern und anschließend vor Ort zur Bewässerung von Pflanzen genutzt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die Umgestaltung des Place Sainte-Madeleine. Klimaanpassungsmaßnahmen werden nicht nur für Straßburg, sondern für alle Städte immer wichtiger. Derartige Projekte sind also notwendig und nicht nur zur Verschönerung von Städten nützlich. Bisher wirkt es jedoch so, als gebe es nur einzelne Projekte zur Klimaanpassung und keine ganzheitliche Strategie für die gesamte Krutenau. Dies könnte in Zukunft von Bedeutung sein, da es sich derzeit noch um ein stark versiegeltes Viertel handelt. Viele der öffentlichen Plätze sind gepflastert, was in Zukunft, mit immer heißer werdenden Sommern, zum Problem werden kann. Beschwerden hört man zu der Thematik aktuell noch nicht von den Bewohner*innen, aber auch dies könnte sich ändern. Obwohl die Stadt das Umgestaltungsprojekt am Place Sainte-Madeleine ins Leben gerufen hat, werden die Bewohner*innen, anliegenden Geschäfte und Nachbarschaftsvereine einbezogen. Es wird gemeinsam darüber diskutiert, wie die Gestaltung des Viertels in Zukunft aussehen kann. Vor allem CARDEK arbeitet bei Projekten dieser Art viel mit der Stadt zusammen. Manuel Santiago, der Geschäftsführer von CARDEK, erzählt, dass es vor allem Aufgabe des Zentrums sei, für die Kinder des Quartiers mitzudenken und ihnen eine Stimme zu geben. Es stelle ein Problem dar, dass die Krutenau in der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils positiv bewertet wird, da auf diese Weise bestehende Konflikte in den Hintergrund gedrängt werden. Die Gespräche mit den Bewohner*innen haben gezeigt, dass diese überwiegend zufrieden mit ihrem Viertel sind. Dennoch gibt es auch in der Krutenau Probleme und Konfliktpotenziale. Santiago kritisiert zudem, dass bei Vierteln mit einem sehr positiven Image die Armut mancher Bewohner*innen häufig übersehen wird und deshalb wenig Beachtung bekommt. Auch wenn die Krutenau häufig als eher reich und bobo beschrieben wird, leben auch hier viele Menschen mit einem niedrigen Einkommen. Dennoch wird von den Bewohner*innen und Außenstehenden zumeist nur das Partyimage wahrgenommen. CARDEK arbeitet daher auch daran, die andere Seite des Quartiers zu zeigen. Der Verein versucht vor allem sich dafür einzusetzen, dass es ein Viertel für alle Bewohner*innen bleibt und den Menschen bewusst wird, dass es andere Lebensrealitäten im Quartier gibt, welche sich vom sichtbaren und dominanten Image unterscheiden.
Die Krutenau im Umbruch: Wie wird die Zukunft gestaltet?
Die Krutenau hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt. Das Quartier ist mehr als nur ein Partyviertel, obwohl sein lebendiges Nachtleben und die vielfältige Gastronomieszene zweifellos wichtige Merkmale des Quartiers sind. Im Allgemeinen beschreiben die Bewohner*innen die Krutenau als äußerst positiv und harmonisch. Dennoch wird deutlich, dass dieser Eindruck bisweilen oberflächlich ist und durchaus Konflikte innerhalb des Viertels existieren. Die Gemeinschaft und Nachbarschaft spielen im Quartier eine wichtige Rolle. Es gibt verschiedene Orte, an denen sich die Menschen treffen und austauschen können: von Wochenmärkten bis hin zu öffentlichen Plätzen, wie dem Place des Orphelins, und kulturellen Zentren. Initiativen und Vereine wie CARDEK und AHBAK setzen sich für das Quartier ein und fördern die Gemeinschaft und das Zusammenleben der Menschen sämtlicher Altersgruppen und verschiedener Herkunft. Das Nachtleben und die gastronomische Vielfalt ziehen vor allem junge Leute an, sind sehr identitätsstiftend und tragen zur Atmosphäre in der Krutenau bei. Allerdings gibt es auch Konflikte, wie Lärmbelästigung zwischen Restaurants, Bars und Clubs und Bewohner*innen. Außerdem ist es nahezu unmöglich, neue freie Plätze, beispielsweise einen Sportplatz für Kinder und Jugendliche, im Viertel zu schaffen, weil das Quartier bereits sehr stark bebaut ist. Daher kommt es auch an dieser Stelle zu Raumnutzungskonflikten. Verschiedene Initiativen arbeiten an Lösungen, um diese Probleme zu bewältigen und das Quartier für alle angenehm und lebenswert zu gestalten.

Auch in Zukunft wird sich die Krutenau weiter verändern. Stadterneuerungsprojekte, die das Quartier grüner und klimafreundlicher gestalten sollen, sind bereits in Planung. Diese werden nicht nur zur Attraktivität des Viertels beitragen, sondern auch zur Anpassung an den Klimawandel. Allerdings birgt diese auch die Gefahr, dass das Viertel bei Tourist*innen und Feierfreudigen noch beliebter wird, was sich wiederum nachteilig auf die Lebensqualität der dort lebenden Menschen auswirken könnte. Es ist umso wichtiger, dass die Interessen der Bewohner*innen, der Gastronomie und der ansässigen Geschäfte in Einklang gebracht werden, um ein lebendiges und gleichzeitig lebenswertes Quartier zu erhalten. Es gibt schon viele Bemühungen, das vielfältige Bild der Krutenau zu fördern. Den sozial schwächeren Gruppen sollte in Zukunft jedoch noch mehr Unterstützung und Aufmerksamkeit gewidmet werden. In den kommenden Jahren könnte die Vielfalt, die im Quartier existiert, noch stärker gefördert und zur Geltung gebracht werden.
[Literaturverzeichnis]
  • [1] vgl. https://www.visitstrasbourg.fr/de/entdecken/strassburg-und-umgebung/die-krutenau/
  • [2] vgl. https://cafebabel.com/de/article/meet-my-hood-krutenau-strassburg-5ae00c09f723b35a145e82fe/
  • [3] Schnur, O. (2014): Quartiersforschung im Überblick: Konzepte, Definitionen und aktuelle Perspektiven. In: ders.: Quartiersforschung. Zwischen Theorie und Praxis 2. Auflage. Springer VS. Wiesbaden, S. 21-59.
  • [4] Lefebvre, H. (1974); Die Produktion des Raums. In: Dünne, J. und S. Günzel (Hrsg.) (2006): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main, S. 330.
  • [5] Drozdzewski, D. und N. A. Webster (2021): (Re)visiting the neighbourhood. Geography Compass, e12597. https://doi.org/10.1111/gec3.12597.
  • [6] vgl. https://www.merriam-webster.com/dictionary/bobo#h1
  • [7] Basten, L. und U. Gerhard (2016): Stadt und Urbanität. In: Freytag, T., Gebhardt, H., Gerhard, U. und D. Wastl-Walter (Hrsg.): Humangeographie kompakt. Berlin, Heidelberg, S. 115-137.
  • [8] Jonas, A.E.G., Mc Cann, E. und M. Thomas (2015): Urban Geography. A Critical Introduction. Chichester, S.28-52.
  • [9] vgl. https://www.cardek.net/
  • [10] vgl. https://www.ahbak.org/
  • [11] vgl. https://www.lesbateliers.com/
  • [12] vgl. https://www.generateur-strasbourg.fr/qui-sommes-nous/
  • [13] Krüger, T., Schmid, J. F. und T. Jauernig (2015): stadtnachacht. Management der Urbanen Nachtökonomie. Hamburg.
  • [14] vgl. http://collectif-abreuvoir.fr/
zurück zur Startseite