Quartiersleben in Straßburg

Innenstadt

von Ronja Bury, Timon Graf, Nicolas Krier und Maurice Thomé

Die Grande Île – ein Touristenmagnet

Die Stadt Straßburg liegt in der Region Elsass an der Grenze zu Deutschland. Mit etwa 290.000 Einwohner*innen in der Kernstadt und etwa 790.000 Einwohner*innen in der ländlichen Umgebung ist sie eine der größten Städte im Osten Frankreichs [1]. Darüber hinaus zählt Straßburg mit den ansässigen europäischen Einrichtungen, wie dem Europäischen Parlament und dem Gerichtshof für Menschenrechte, zu einer der „Hauptstädte“ der Europäischen Union und wird häufig als Europametropole bezeichnet [2].

Die Innenstadt ist nicht nur der älteste Stadtteil Straßburgs, sondern auch ein Stadtteil besonderer Bedeutung. Umringt von den mittlerweile kanalisierten Armen der Ill, liegt die Altstadt auf der „Grand Île”, zu Deutsch „Großen Insel”. Auf dieser Insel wurde die historische Innenstadt dicht an dicht auf etwa 1,8 km² gebaut, so dass dort immerhin rund 10.000 Menschen leben [3].

Die Geschichte der Stadt geht bis ins Jahr 12 v. Chr. zurück, als die Römer auf der Altstadtinsel, die zuvor jahrhundertelang von Kelten besiedelt war, eine Kaserne errichteten. Deutlich später und ebenfalls auf der Insel erbaut wurde die Kathedrale, welche in gotischem Baustil aus Buntsandstein 1439 fertiggestellt wurde. Bis ins 19. Jahrhundert galt sie mit einer Höhe von 142 Metern als die höchste fertiggestellte Kathedrale. 1988 wurde die „Grand Île” zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Die historische Architektur wird heutzutage intensiv touristisch vermarktet und lockt jedes Jahr viele Besucherinnen und Besucher in die Stadt [2, 10].
Facetten der Straßburger Innenstadt
Flaniert man tagsüber durch die Straßburger Innenstadt, geht man überwiegend über gepflasterte Straßen und vorbei an historischen, etwa drei- bis fünfstöckigen Gebäuden, in deren Erdgeschoss meist kleinere und teils auch größere Gewerbebetriebe Einzug gefunden haben. Unweigerlich kommt man so an unzähligen Cafés, Restaurants und Ladengeschäften vorbei. Auf den Straßen begegnet man vielen Menschen, die zu Fuß gehen oder sich auf zwei Rädern durch die zahlreichen Fußgänger schlängeln. Kleinere Gassen wirken dagegen oft wie ausgestorben. Autos sind in der Innenstadt nur noch selten zu sehen und stehen auf einem von wenigen und teuren Parkplätzen. Dass links und rechts um einen herum verschiedenste Sprachen zu hören sind, ist nichts Ungewöhnliches, denn nirgendwo sonst strömen mehr Touristen durch Straßburg als durch die Innenstadt. Insbesondere vormittags ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man auf mindestens eine von vielen geführten Touristengruppen trifft. Spätestens jedoch dann, wenn man den Platz der Kathedrale oder das alte, von Fachwerkhäusern geprägte Gerberviertel „La Petite France”, zu Deutsch “kleines Frankreich” erreicht, wird man auf zahlreiche Touristengruppen treffen.

Neben all dem Charme, den die historische Innenstadt ausstrahlt, wirft das Quartier einige Fragen auf: Welche Konflikte lösen 4 Millionen Tourist*innen pro Jahr möglicherweise auf dem begrenzten Raum aus? Findet ein reges Leben auf der Grande Île auch statt, nachdem die Touristengruppen gegangen sind? Findet der Tourismus auf Kosten des Wohnraumes von Bewohner*innen statt und beschleunigt so die Gentrifizierung? Wer nutzt die Innenstadt und in welcher Form? Was halten die Bewohner*innen vom Tourismus? Wie erging es dem Gewerbe der Innenstadt während der Corona-Pandemie, als die Touristen*innen ausblieben?

Angesichts dieser Fragen lässt sich zwischen drei verschiedenen Akteursgruppen differenzieren, die augenscheinlich gleichermaßen, doch völlig unterschiedlich denselben Raum nutzen: Erstens die Bewohner*innen der Innenstadt, zweitens das Gewerbe und drittens selbstverständlich auch die Tourist*innen. Aus ihren unterschiedlichen Perspektiven können die Menschen vor Ort über ihre vielfältigen Erfahrungen auf der Grande Île berichten.

Tourismus in Zahlen

Die verschiedenen Eindrücke von der Innenstadt lassen sich am besten anhand einiger Zahlen und Statistiken zum Tourismus und dessen Eigendynamik verdeutlichen [8, 9].

Wie viele Tourist*innen besuchen Straßburg jedes Jahr?

Die Stadt Straßburg wird jährlich von etwa 4 Millionen Tourist*innen besucht. Obwohl die Innenstadt mit Abstand das “touristischste” Viertel ist, muss man berücksichtigen, dass nicht alle 4 Millionen Tourist*innen den Weg in die Innenstadt finden. Über die Hälfte der Tourist*innen sind Franzosen. Der Großteil der internationalen Besucher*innen sind deutschsprachige Tourist*innen, gefolgt von englischsprachigen Tourist*innen, Spanier*innen und Italiener*innen.

Welche Attraktionen wurden am meisten besucht?

Im Mittelpunkt der Innenstadt steht unverkennbar die Kathedrale. Sie wird im Schnitt von 1,5 bis 2 Millionen Tourist*innen pro Jahr besucht. Sie funktioniert als Magnet für Menschenmassen, so besucht etwa jede*r zweite Tourist*in Straßburgs die Kathedrale und somit automatisch auch die Innenstadt.

Gefolgt wird die Kathedrale von den Bootsfahrten, die die „Grand Île“ auf den Kanälen der Ill umkreisen. Diese Aktivität wird im Schnitt von etwa 700.000 Tourist*innen pro Jahr genutzt. Die Bootstouren haben viele verlockende Facetten wie die Wasserschleuse, die Möglichkeit sich die verschiedenen Viertel wie “La Petite France”, Neudorf, Krutenau, Poincaré und natürlich die Innenstadt ganz in Ruhe aus verschiedenen Blickwinkeln in vergleichsweiser kurzer Zeit anzuschauen.
Bootstour als Touristenattraktion: Oft sind die Boote bei gutem Wetter bis zu den letzten Plätzen ausgelastet.
An dritter Stelle stehen mit etwa 500.000 Besucher*innen pro Jahr die verschiedenen Museen.

Wer vom Tourismusbüro nicht genau eingefangen werden kann, sind die Tourist*innen, die nicht an einer messbaren Aktivität, wie den oben genannten, teilnehmen. Hierzu zählen beispielsweise die Menschengruppen, die lediglich durch die Straßen, Läden und Restaurants schlendern oder Straßburg auf eine andere als die oben genannten Arten besuchen. So gibt es beispielsweise auch Tourist*innen, die Wert auf verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit legen und vor allem versuchen, sich dem Alltagsleben der Bewohnenden anzunähern, anstatt die bekannten Tourismusangebote wahrzunehmen.

Wie verteilen sich die Tourist*innen über das gesamte Jahr?

Wie so oft folgen die Tourist*innen der Sonne. Die Monate Januar bis März schneiden mit 100.000 bis 170.000 Übernachtungen pro Monat am “schlechtesten” ab. Mit dem Frühling steigen auch die Übernachtungszahlen deutlich. Von April bis November können die Übernachtungen annähernd als normalverteilt beschrieben werden. Im April und November zählt die Stadt insgesamt etwa 230.000 Übernachtungen. Die Zahlen steigen ab April bis zum Sommerhoch im August an (ca. 285.000 Übernachtungen) und flachen dann über den Herbst bis zum November wieder ab.

Allerdings ist insbesondere die Weihnachtszeit für alle Akteursgruppen eine außergewöhnliche. Denn die Innenstadt verfügt im Dezember über einen wahren Tourismusmagneten, der bei allen Akteursgruppen nicht nur für Freude sorgt – der Straßburger Weihnachtsmarkt. Dies untermauern auch die Übernachtungsstatistiken. Der Dezember zieht nicht nur am meisten Besucher in die Stadt, sondern ist mit ca. 365.000 Übernachtungen mit Abstand auch der übernachtungsstärkste Monat.

Was den Städtetourismus ausmacht

Der Tourismus in Straßburg kann mit Christian Jäggi als klassischer Städtetourismus verortet werden. Denn in “Die Nachfrage nach Mobilität” stellt Christian Jäggi die verschiedenen Arten von Tourismus in einem Hexagondiagramm dar [6]. Als Eckpunkte des Hexagons dienen die Stützpunkte des Diagramms, sozusagen die Motivationen und Interessen der Tourist*innen für die jeweilige Reise. Diese sind im Uhrzeigersinn wie folgt angeordnet: Körper – sozialer Austausch – Spiritualität – historisches Erbe – Kultur – Natur – Körper (als Anfangs- und Schlusselement).

In dem Diagramm können den jeweiligen Stützpunkten jetzt klar einzelne Tourismusformen zugeteilt werden. So passt zum Beispiel zum Interessengebiet Kultur der Ethnotourismus und zur Spiritualität der Pilgertourismus. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich zwischen zwei Stützpunkten zu bewegen, wobei man jeweils eher zu einem Stützpunkt tendiert wie beispielsweise: Mehr Spiritualität, weniger historisches Erbe (Wallfahrtstourismus) oder weniger Spiritualität mehr historisches Erbe (Heritage Tourismus). Auch eine Balance zweier Stützpunkte ist möglich wie z. B. zwischen Natur und Kultur (Alternativtourismus). Wie jedes Modell verfügt auch dieses über Stärken und Schwächen. Allerdings ermöglicht das Schema im Kontext der Innenstadt Straßburgs eine Einordnung des Begriffs Städtetourismus [6].

Demnach resultiert der Städtetourismus aus den touristischen Interessen (bzw. Stützpunkten) der Kultur und des historischen Erbes. Das historische Erbe der Innenstadt Straßburgs ist hierbei offensichtlich. Die Stadt hat sich bemüht, alte Gebäude sowie die Struktur der Altstadt zu bewahren oder aus touristischen Gründen sogar wiederherzustellen. Auch die Innenstadt Straßburgs wurde von den Autos nicht verschont, jedoch gibt man sich alle Mühe, in der Innenstadt in kleinen Schritten wieder eine Autofreiheit einzuführen. Nur selten sieht man auf der unteren Hälfte der „Grand Île“ eine große Baustelle oder ein modernes Gebäude.

Das Thema Kultur ist vielleicht nicht so offensichtlich, da es weniger materiell ist – bei näherem Hinschauen ist es jedoch unverkennbar. Egal wo man hinschaut, es wird versucht, das französische Savoir-vivre zu leben: Sei es durch verschiedene Artikel in Souvenirläden, die Vielfalt in der Gastronomie (Bäckereien, Cafés, Flammkuchen, Restaurants mit Außenbereich, Brauereien), die Sprache, das scheinbar späten Beginnen des Alltags oder andere Beispiele.

Gewerbetreibende in der Innenstadt

Die Straßburger Innenstadt lädt zum Flanieren ein. Die vielen Straßen und Gassen der Grande Île sind nicht nur mit Touristen*innen gefüllt. Hinter den alten Fassaden befinden sich eine Vielzahl an Läden und Restaurants, die für jeden etwas zu bieten haben. Für die hungrigen Besucher*innen gibt es die Rue des Orfèvres, die mit ihren unzähligen Feinkostläden eine kulinarische Kurzreise durch das Elsass bietet. Für Menschen, die gerne etwas mehr Geld in der Stadt zurücklassen wollen, gibt es die Rue des Hallebardes und die Rue du Dôme. Hier findet man die nobelsten Geschäfte, Tür an Tür angereiht. Wer sich allerdings eher für Handwerk und alternative Läden interessiert, wird in der Rue des Juifs oder der Rue Sainte‑Madeleine fündig. Auch sonst sind die Straßen der Innenstadt belebt. Mehrmals in der Woche gibt es eine Vielzahl verschiedener Märkte, die sowohl von Touristen als auch von den Bewohnern besucht werden.
Straßburger Antiquitätenmarkt: mehrmals pro Woche gibt es Märkte in der Innenstadt
Die meisten der Gewerbetreibenden profitieren vom Tourismus. Laut eigener Aussage füllen diese die Straßen auch zu Zeiten, in denen die meisten Studierenden aus der Stadt verschwinden, um ihre Semesterferien zu genießen. Über die vergangenen Jahre macht sich allerdings ein Wandel in der Branche bemerkbar. Straßburg ist für viele Tourist*innen ein Tagesziel. Nur ein Teil der insgesamt 4 Millionen Besucher*innen verbringen eine Nacht in der Stadt (2.759.440 Übernachtungen im Jahr 2022). Vor allem während der Weihnachtssaison verbucht die Europametropole besonders hohe Besucherzahlen, die sich negativ bei den Bewohner*innen bemerkbar machen. Mit steigender Anzahl an Besuchen steigt auch die Anzahl an Tagestourist*innen. Diese geben im Schnitt deutlich weniger Geld in der Destination aus als bei Kurzurlauben. Eine Studie der Welttourismusorganisation (UNWTO) aus dem Jahr 2022 hat ergeben, dass Tagestourist*innen im Durchschnitt 60 US-Dollar pro Tag ausgeben, während normale Tourist*innen im Durchschnitt 120 US-Dollar pro Tag ausgeben. Besucher*innen, die nur einen Tag in einer Stadt wie Straßburg verbringen, geben in der Regel mehr Geld für Aktivitäten und Attraktionen (Münsterturm, Touristenführungen und Bootsfahrten) aus als für Unterkunft und Verpflegung [15]. Dies hat Auswirkungen auf die Wirtschaft der Zieldestination, da Tagestourist*innen weniger zum Bruttoinlandsprodukt beitragen als Übernachtungsgäste.

Die Innenstadt befindet sich in einem ständigen Wandel. Ebenso verändern sich die Geschäfte, welche hier anzutreffen sind. Vor allem die alteingesessenen kleinen Läden müssen neuen und modernen Geschäften weichen. Straßburg hat dadurch für die Bewohner*innen und Gewerbetreibenden seinen „dörflichen“ Charme verloren. Gewerbetreibende machen die Politik der aktuellen grünen Bürgermeisterin dafür mitverantwortlich, dass es zu dieser Situation gekommen ist. Parken in der Innenstadt wurde so unattraktiv gestaltet, dass es viele Bewohner*innen an die Randviertel von Straßburg zieht, wo sie in den neu errichteten Einkaufszentren ihren Wocheneinkauf tätigen. Dies wirkt sich auch auf die Restaurants der Innenstadt aus. Menschen aus angrenzenden Gemeinden sind früher oftmals fürs Mittagessen mit anschließendem Besuch der kleinen Läden in die Innenstadt gefahren. Durch die angestiegenen Parkgebühren (35 € für 3 Stunden) ist dies für viele nicht mehr möglich. Insbesondere die kleinen, nicht touristischen Läden sind von diesem Wandel betroffen. Unternehmer*innen weisen allerdings auch auf andere Probleme in der Stadt hin, welche sich vor allem erst in den letzten Jahren entwickelt haben.
Der Laden „Le village de la Bière“ befindet sich seit über zehn Jahren in der Innenstadt. Einer der Mitarbeiter, Raphael Marfaing, wohnt zudem schon mehrere Jahrzehnte im Viertel und befindet sich daher in ständiger Interaktion sowohl mit Bewohner*innen als auch Touristen*innen. Im folgenden Interview berichtet er über seine Erfahrungen im Gewerbe.

Wohnen auf der Grande Île – Ist die Straßburger Innenstadt, ein Freilichtmuseum ohne Leben?

Eine Passantin aus dem Elsass erzählt, dass es Straßburg ergehe wie jeder anderen touristischen Stadt. Airbnb verdränge gerade in Stadtzentren zunehmend die Einwohner und lasse die Mietpreise in die Höhe schnellen. Was übrig bleibt, sei ein Freilichtmuseum und viele Geschäfte für den wohlhabenden Teil der Gesellschaft, die sich die Mieten noch leisten können. Doch trifft das auf Straßburg auch zu?

Plattformen wie Airbnb werden von vielen Wohnungseigentümer*innen genutzt, um zusätzliche Einnahmen zu generieren, da die Wohnungen für Kurzaufenthalte meist teurer angeboten werden können als für die Langzeitmiete. Für Besucherinnen und Besucher ist der Aufenthalt in Airbnb-Unterkünften oft günstiger als in Hotels, die strenge Auflagen einhalten müssen, wie etwa den Brandschutz. Dazu wird in den Wohnungen ein „authentischeres” Wohnerlebnis ermöglicht. Aus der ursprünglichen Idee, dass Eigentümer*innen und Mieter*innen ihren Wohnraum für kurze Aufenthalte zur Verfügung stellen, während diese selbst auf Reisen sind, wurde für einige zu einem Geschäftsmodell, das dazu führte, dass ganze Wohnungen dauerhaft in Airbnb inseriert blieben und für den Wohnungsmarkt verschwunden sind. Wohnungen zur dauerhaften Miete können aufgrund des geringeren Angebots für mehr Geld vermietet werden, wodurch letztlich die Gentrifizierung von innenstadtnahen Stadtteilen vorangetrieben wird. Als Gentrifizierung wird in der Humangeographie ein sozioökonomischer Strukturwandel in Stadtvierteln bezeichnet. Dabei werden Stadtteile aufgewertet, was zugunsten zahlungskräftiger Bevölkerungsschichten ausfällt und andere gesellschaftliche Schichten verdrängt. Städten können darüber hinaus auch Steuergelder verlorengehen, wenn Mieteinnahmen aus Modellen wie Airbnb nicht deklariert werden. Einige Städte versuchen daher, durch strengere Regulierungen das Angebot von Airbnb einzudämmen. Die meisten Städte in Frankreich haben die Dauer einer Vermietung durch Airbnb auf eine Anzahl von maximal 120 Tage pro Jahr begrenzt. Diese gelten jedoch nur für den Erstwohnsitz. Um eine Vermietung zusätzlich zu erschweren und vor allem Geschäftsmodelle mit Airbnb-Wohnungen zu verhindern, haben manche Städte deutlich strengere Regelungen zur Vermietung von Zweitwohnungen erlassen. In Bordeaux gilt die Kurzzeitvermietung in der Innenstadt als Nutzungsänderung von einem „local d’habitat“ in ein „local professionnel“. Bei der Umwandlung von Wohnraum in eine gewerbliche Nutzung muss nach der Regelung der „compensation“ wiederum Gewerbefläche zu Wohnraum umgewandelt – also kompensiert werden. Dennoch sind die Regelungen in französischen Städten noch deutlich weniger streng als in Städten wie London oder Hamburg, wo die Anzahl der maximalen Vermietungsdauer auf 80 Tage pro Jahr reduziert wurde. Ein Verstoß dieser Richtlinien ist für die Städte jedoch schwer zu prüfen. [4, 5, 11, 14]
In Straßburg ist die Umwandlung von Privatwohnraum in Ferienwohnungen teilweise untersagt. Dennoch ist das Angebot, gerade in der Straßburger Innenstadt, besonders groß. Innenstadtnahe Mietpreise sind im Schnitt um 60 Prozent teurer als Mieten außerhalb des Stadtzentrums. Diese variieren jedoch auch innerhalb der Innenstadt, je nach dem Zustand des Gebäudes, und sind im Vergleich zu anderen französischen Großstädten weniger hoch [12].

Obwohl die Ökonomie der Innenstadt mit vielen Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Restaurants auf den Tourismus ausgelegt ist, sind Kosten für Miete, Transport, Lebensmittel oder Restaurantbesuche für die Bewohner*innen noch immer erschwinglich. Dies macht die Innenstadt als Wohnsitz auch für junge Menschen und Studierende interessant. Im Jahr 2023 zählt die Université de Strasbourg mehr als 55.000 Studierende. Dies spiegelt sich auch in der demographischen Struktur von Straßburg wider, denn das durchschnittliche Alter liegt bei etwa 36 Jahren [1, 12, 13].

Unterschiedliche Nutzungen in Zeit und Raum

In der Innenstadt ist ein deutlicher Tagesverlauf zu beobachten. In den frühen Morgenstunden bringen zahlreiche Lieferfahrzeuge Lebensmittel und andere Güter zu den Geschäften. Die Straßen werden mit mehreren Reinigungsfahrzeugen gesäubert und die Mülleimer geleert. Auf Hochtouren wird die Stadt für den erwarteten Ansturm an Tourist*innen herausgeputzt, die den Tag über in Straßburg verweilen.

Die mögliche Befürchtung, dass abends, wenn der Tagestourismus abgeklungen ist, die Innenstadt wie ausgestorben sei, bewahrheitet sich nicht. Stattdessen sind auch unter der Woche Restaurants und Bars gut besucht. Insbesondere treffen wir hier auf viele junge Menschen, die vermutlich in Straßburg studieren. Abends trainiert eine Gruppe Parkour auf den großen Sandsteinbänken vor der Kathedrale. Aus einem Gebäude nebenan ist ein Chor zu hören. Neben all den touristischen Angeboten bietet die Innenstadt auch viele Einrichtungen für das alltägliche Leben, wie Supermärkte, Vereinshäuser, Schulen oder Kitas. Auf die Frage, ob der Tourismus auch negative Aspekte mit sich bringt, äußern die Bewohner*innen nur wenige kritische Punkte. Selbst Lärm oder Müll scheinen keine Problemfelder zu sein. Stattdessen schätzen sie die Ausgeh- und Einkaufsmöglichkeiten vor ihrer Haustüre, die unter anderem durch den Tourismus entstanden sind.

Neben dem Tagesverlauf ist auch ein Unterschied in der Nutzung zentraler öffentlicher Räume wie dem Platz der Kathedrale und Kléberplatz zu erkennen. Während touristische Gruppen zum Platz der Kathedrale geführt werden, verweilen auf den Bänken des Kléberplatzes, der an das Kaufhaus Fnac angrenzt, viele Bewohner*innen und Pendler*innen.

Hat Straßburg den Städtetourismus perfektioniert?

Während unserer Zeit in der Straßburger Innenstadt lassen sich kritische Stimmen überwiegend von Seiten des Gewerbes wahrnehmen. Diese haben durch die zahlreichen Krisen, wie Pandemie, Energiekrise und Inflation, in den vergangenen Jahren stark gelitten. Hinzu kommen die Veränderungen durch die neue Mobilitätspolitik. Inwiefern sich die Verdrängung von Autos negativ auf Geschäfte auswirkt oder ob dies zu mehr Tourismus und zahlender einheimischer Kundschaft führt, wird sich erst in Zukunft zeigen. Denn Bewohner*innen und Tourist*innen begrüßen diese Veränderung, die die Innenstadt nun noch attraktiver gestaltet. Zwischen den beiden Gruppen gibt es nahezu keine Konflikte. Die Menschen, die in der Innenstadt wohnen, haben sich an den Tourismus gewöhnt und schätzen die zusätzlichen Angebote, die durch den Tourismus selbst und durch dessen ökonomische Bedeutung für die Stadt entstanden sind.

Da in der fortgeschrittenen Phase der Gentrifizierung manche gesellschaftliche Gruppen bereits verdrängt wurden, ist es jedoch gut möglich, dass außerhalb der Innenstadt deutlich kritischere Stimmen zu Tourismus, Gentrifizierung und weiteren Veränderungen der Innenstadt zu hören sind. Nach den räumlich auf die Innenstadt Straßburgs und zeitlich auf eine Dauer von 12 Tagen begrenzten Eindrücken und Recherchen scheint es der Stadt gelungen zu sein, ihr Zentrum für die Straßburger Bevölkerung attraktiv und erschwinglich zu halten. Damit wirkt die Stadt wie ein positives Beispiel für einen intensiven und dennoch konfliktarmen Tourismus. Mit all ihren Angeboten wirkt die Straßburger Innenstadt geradezu wie eine Tourismusmaschinerie, die nur durch einschneidende Ereignisse wie die Pandemie ins Wanken gerät. Bleibt Straßburg jedoch von diesen verschont, so werden die historischen Straßen, Gassen und Plätze der Grande Île noch viele Jahre lang jeden Morgen aufs Neue für einen weiteren Ansturm an Besucher*innen herausgeputzt.
[Literaturverzeichnis]
  • [1] AdminStat (Hrsg.). Karten, Analysen und Statistiken zur ansässigen Bevölkerung. Online unter: https://ugeo.urbistat.com/AdminStat/de/fr/demografia/dati-sintesi/strasbourg/20002094/4
  • [2] Archives de la ville et de l'Eurométropole de Strasbourg (Hrsg.). Die Zeiten der Strassburger Geschichte. Online unter: https://archives.strasbourg.eu/de/n/die-zeiten-der-strassburger-geschichte/n:480#p1297
  • [3] Bonjour Elsass (Hrsg.). Straßburg Zahlen und Fakten. Online unter: https://www.bonjour-elsass.de/strassburg-zahlen-fakten/
  • [4] Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.). (2014). Informationen zur Raumentwicklung: Bd. 4. Zwischen Erhalt, Aufwertung und Gentrifizierung. Franz Steiner Verlag.
  • [5] Deutsche Anwaltauskunft (Hrsg.). (2015). Airbnb-Vermietungen für Mieter und Vermieter oft nicht erlaubt. Online unter: https://anwaltauskunft.de/magazin/wohnen/mieten/airbnb-vermietungen-fuer-mieter-und-vermieter-oft-nicht-erlaubt
  • [6] Jäggi, C.J. (2021). Die Nachfrage nach Mobilität. In: Tourismus vor, während und nach Corona. Springer Gabler, Wiesbaden. Online unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-35288-2_8
  • [7] Helena Ott. (2019). Wer Airbnb-Wohnungen bucht, nimmt der Gemeinschaft etwas weg. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/airbnb-urlaub-wohnung-1.4644516
  • [8] OFFICE DE TOURISME DE STRASBOURG ET SA RÉGION (2021). Chiffres et données statistiques; Rapport d’activité 2020. Online unter: https://www.visitstrasbourg.fr/wp-content/uploads/2019/10/Chiffres-et-donnees-statistiques-2020.pdf
  • [9] OFFICE DE TOURISME DE STRASBOURG ET SA RÉGION (2023). Chiffres et données statistiques; Rapport d’activité 2022. Online unter: https://app.avizi.fr/fichiers/preview/61967837d673c/16782-803
  • [10] OFFICE DE TOURISME DE STRASBOURG ET SA RÉGION. Unesco. Online unter: https://www.visitstrasbourg.fr/de/entdecken/unesco/
  • [11] Sheppard, S. & Udell, A. (2016). Do Airbnb properties affect house prices? Williams College Department of Economic.
  • [12] TravelTables (Hrsg.). (2023). Lebensunterhaltungskosten in Straßburg, Lebensmittelkosten, Mietkosten, Kleidungskosten usw. Online unter: https://de.traveltables.com/country/france/city/strasbourg/cost-of-living/
  • [13] Université de Strasbourg (Hrsg.). (2023). Les étudiants. Online unter: https://www.unistra.fr/chiffres-cles/les-etudiants
  • [14] Ute Patel. (2019). AirBnB - Frankreichs Städte wehren sich. Online unter: https://www.relocation-toulouse.com/vermietung-%C3%BCber-airbnb/
  • [15] The World Tourism Organization 2023 (Hrsg.). (2022). UNWTO World Tourism Barometer and Statistical Annex. Online unter: https://www.e-unwto.org/doi/abs/10.18111/wtobarometereng.2022.20.1.1?role=tab&journalCode=wtobarometereng
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